Mont Blanc-Gebiet, Tag 1: vom Col de la Forclaz zum Glacier du Trient

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Gebiet Hochsavoyen (Frankreich)
Startpunkt Col de la Forclaz
höchster Punkt 2090 m
Gesamtanstieg 550 m
Gesamtstrecke 3:00, ca. 9 km
Anspruch einfach (T2, Bergwandern)
Datum 28.05.2003 (Mi.)
Route Col de la Forclaz (1526 m) Glacier du Trient (1850 m, Gletscherzunge) Col de la Forclaz

 

Fettkraut an der Felswand

Bild 1:

Nachdem der Vortag der Tourvorbereitung gedient hatte, weckt mich das Reisefieber am darauf folgenden Tag bereits in aller Herrgottsfrühe um fünf Uhr morgens. Nichts hält mich mehr, und eine Stunde später befinde ich mich schon auf der Autobahn. Der altbekannte Weg führt zunächst über die schon oft befahrene Autobahn Richtung Zürich, danach Bern, und bei Vevey wird der Genfer See erreicht. Der heißt hier Lac Leman, was daran erinnert, dass meine Französischkenntnisse immer noch nicht ausreichen, um mich flüssig mit den Einheimischen, sei es an der Tankstelle oder beim Wandern, einigermaßen unterhalten zu können. Sei's drum. Vielleicht sollte ich mich doch mal für einen Volkshochschulkurs anmelden. Der Verkehr läuft flüssig an der Ostseite des Sees entlang, der Anblick der französischen Alpen des Hochsavoyen entschädigt für die etwas lange, monotone Autobahnfahrt und lässt endgültig Urlaubs- und Frühlingsstimmung aufkommen.

Ein paar Minuten geht es noch durchs flache Tal, dann ist Martigny erreicht, wo sich die Wege zum Großen St. Bernhard, dem Furkapass sowie dem Forclaz-Pass gabeln. Nach einer kurzen Tankpause bin ich gerüstet für den Passanstieg Richtung Forclaz-Pass nach Argentière und Chamonix. An den sonnenbeschienenen Rebhängen über Martigny windet sich die Alpenstraße in schneller Kehren-Folge nach oben. Ein die Luft verpestender, vor mir gerade noch eingescherter Lastwagen ist auf dieser Strecke kaum zu überholen. Statt zu schimpfen, nutze ich deswegen eine der vielen Parkbuchten für einen immer wieder atemberaubenden Blick hinunter nach Martigny und die dahinter sich auftürmenden Gebirgszüge. Nach dieser zweiten Pause reicht es ohne Unterbrechung weiter bis zum Forclaz-Pass auf 1526m Höhe (immer noch Schweizer Gebiet), wo es trotz der morgendlichen Stunde bereits angenehm warm ist.

Auf früheren Touren war mir schon aufgefallen, dass der Pass Ausgangspunkt vieler Touren ist. Meine Wanderkarte beginnt jedoch leider erst in etwa an der französischen Grenze, so dass zunächst Kartenkauf, Erschrecken über dessen hohen Einstandspreis und anschließend Kartenstudium angesagt ist.

Schwer fällt die Auswahl nicht: Ein Gletscher, der auf einem Höhenweg erreichbar ist, zieht mich magisch an. Dazu geht es vom Pass aus zunächst etwa eine gute Stunde über einen gut ausgebauten Bewässerungsweg mit fast unmerklichem Gefälle Richtung Süden. Die Wasserleitungsgräben, zum Teil auch in hölzernen Trögen geleitet, werden gerade in Stand gesetzt, was den Weg etwas verengt. Insgesamt erinnert der erste Teil des Weges in erstaunlicher Weise an die berühmten Levadas auf Madeira. Ursprünglich war der bequeme Weg insbesondere auch zum Transport von Eisen- und anderen Erzen geschaffen worden.

Halbschattig - was bei den Frühlingstemperaturen eher angenehm ist - führt der Weg am Hang entlang, auf der Rechten gesäumt von vielen feuchten Felshängen, an denen Schmelz- und Regenwasser langsam zu Tale sickert. Feuchte, leicht exponierte, fast humusfreie, nährstoffarme Hänge sind aber auch ein ideales Biotop für verschiedene Moose und - was mich natürlich besonders interessiert - Insekten fressende Fettkraut-Arten.

Direkt am Weg entdecke ich auch schon die ersten Pflanzen, es handelt sich um bereits voll entwickelte, violett blühende Exemplare von Pinguicula vulgaris, die sich in kleinen Felsvorsprüngen ihren Lebensraum erobert haben. Langsam über den Fels sickernde Wasser verhindert auch in der Sommerhitze ein Austrocknen der Feuchtigkeit liebenden Pflanzen. Die vielen kleinen Fliegen, die sich auf den trügerisch feuchten, in Wirklichkeit klebrig-fettigen Blättern eine Verschnaufpause gönnen wollen, bescheren den Pflanzen ein ausreichend bis üppiges Nahrungsangebot.

 

Fettkraut

Bild 2:

Von einem etwas anderen Standpunkt aus betrachtet. Etwas akrobatisches Talent ist erforderlich, um die in etwa zwei Meter Höhe wachsenden Pflanzen zu erreichen, denn vor der Felswand fließt das Bächlein, was die Sache zusätzlich etwas glitschig macht. Innerhalb der nächsten dreieinhalb Tage öffnen sich die Blüten ganz, wie Bild Nr. 62 zeigt

 

Glacier du Trient

Bild 3:

Nun aber wird es Zeit, auf dem viel begangenen Weg weiter zu ziehen und die fragenden Blicke der Menschen, die nicht den gleichen Sinn für die Schönheit der Pflänzchen haben können, hinter sich zu lassen. Nach dem Chalet du Glacier (1583 m), einem beliebten Picknickplatz, verlässt der behindertentaugliche Weg nun die "Levada" und steigt merklich steiler in steinig-felsigem Gelände an. Auf dem Weg dorthin wird das Ziel, der Glacier du Trient, immer deutlicher sichtbar. Weitere Wege zweigen hier nach Westen zum Col du Balme, nach Osten zum nicht ganz trivialen Übergang ins Val d'Arpette ab.

Gesamtüberblick über Gletscher und Talschluss

 

Glacier du Trient

Bild 4:

Und hier sind wir schon fast am immer unwirtlicher werdenden Talende auf etwa 1800 m angelangt. Geröll, sehr spärliche Vegetation und das Fehlen von Bäumen zeugen davon, dass die Gletscherzunge vor kurzem noch deutlich weiter nach unten reichte.

 

Glacier du Trient

Bild 5:

Der Gletscher erreicht den Talgrund und stößt auf den gegenüber liegenden Fels. Man kann sich vorstellen, wie der stetige Druck des Eises das Gestein im Verlauf vieler Jahrhunderte allmählich abschabt und den V-förmigen Ausschnitt allmählich in die typische U-Form verwandelt - sofern der Gletscher nicht vorher abschmilzt und sich noch weiter zurück zieht.

 

Glacier du Trient

Bild 6:

Vom Gletscher ist ein Riesenfragment abgebrochen und auf dem darunter liegenden Fels zerschellt. Die manns- bis faustgroßen Fragmente glitzern von ferne im Gegenlicht wie funkelnde Perlen. So attraktiv es erscheint, sich das Phänomen aus der Nähe anzuschauen, so eindringlich erschallt die Warnung der Natur, einen respektvollen Abstand von den hoch aufragenden Eispfeilern (bestimmt 20 m hoch) zu halten.

Die Bruchstücke des abgesprengten Eispfeilers glitzern und schimmern in der warmen Frühlingssonne. Bald wird sich das in uralter Zeit als Schnee gefallene Eis mit dem Gletscherbach vereint haben und wieder dem uralten Wasserkreislauf zur Verfügung stehen.

 

Blick zurück Richtung Col de la Forclaz

Bild 7:

Der Blick zurück über das Geröllfeld ins Tal, aus dem ich gekommen bin. Der Bel Oiseaux (2628m) auf der nördlichen Seite der Passstraße hüllt sein Haupt in Wolken.

 

Glacier du Trient

Bild 8:

Ein wenig näher kann man dem Gletscher schon noch auf den Leib rücken. Faszinierend ist für mich immer wieder die tiefblaue Farbe massiven Eises, die auch hier an manchen Stellen durchschimmert.

 

Blick Richtung Col de Balme

Bild 9:

Nun ist es wieder an der Zeit, den Rückweg anzutreten, aber gleichzeitig auch Ausschau danach zu halten, welche Wege bei künftigen Besuchen in der Region noch lohnenswert wären. Hier führt zum Beispiel der Weg aus dem Tal - ausgehend vom Chalet du Glacier - die Flanke des bewaldeten Hanges auf der rechten Seite hoch und danach oberhalb des Steilabbruches bis zum Col de Balme (2204 m), den ich am vierten Tag besuchen werde, allerdings von der anderen Seite, von Le Tour aus.

 

Duftveilchen

Bild 10:

Duftveilchen

 

Polsterpflanze

Bild 11:

Gut geschützt vor Wind, Wetter und Austrocknung wachsen zwischen zwei Felsen Polsterrasen des bis zu 100 Jahre alt werdenden Stängellosen Leinkrautes. Dessen Blüten sind klein und eng an den Boden geschmiegt. Damit können sie optimal den doch noch frostigen Nachttemperaturen trotzen, und mit der duftenden Massenblüte ziehen sie trotzdem die Aufmerksamkeit der wenigen zu dieser Jahreszeit im Hochgebirge aktiven Schmetterlinge auf sich und sichern sich so die Fortpflanzung.

 

Pyramidengünsel

Bild 12:

Pyramidengünsel

 

Aurorafalter

Bild 13:

Ein Aurorafalter labt sich am Blüten-Nektar des Bitteren Schaumkrautes

 

Blick Richtung Col du Balme

Bild 14:

Nun befinde ich mich bereits wieder auf dem flachen Stück entlang der "Levada", wo der Blick jenseits des Tales mit der Ortschaft Trient auf einen neuen Höhenzug fällt. Links im Hintergrund ist der Col du Balme (2204 m) zu sehen, von dem aus ein Bergweg auf den Croix de Fer (2343 m, spitzer Gipfel im Hintergrund) führt. Die Namensgebung deutet auch auf den früheren Abbau von Bodenschätzen hin.

Nun geht es wieder zurück in den motorisierten Trubel an der Passstraße. Die Terrasse auf dem Forclaz ist schon gut besucht, für mich heißt es aber zunächst, eine Unterkunft zu suchen. Das Restaurant am Pass ist als Hotel ausgebaut und besitzt auch einen Campingplatz hinter dem Haus, so dass ich mein Glück zunächst dort versuche. Trotz durchdringender Handglocke lässt sich jedoch niemand blicken, der mir weiter helfen möchte. So gebe ich es auf und fahre weiter, was sich später als Glücksfall herausstellt, denn bis Chamonix ist es doch noch eine unerwartet weite Strecke.

So geht es zunächst weiter zur französischen Grenze, wo die Beamten tatsächlich noch den Ausweis verlangen und nach dem Reiseziel fragen. Das vereinte Europa hat eben die Schweiz noch nicht erreicht. Weiter geht es über Vallorcine zum nächsten Pass, dem Col de Montets (1461 m), einem beliebten Ausgangspunkt für Tagestouren. Auch auf dieser Strecke herrscht noch Winterruhe, kein Campingplatz hat offen. So fahre ich ins vom Wintersport altbekannte Argentière hinunter und werde auch dort endlich fündig. Kurz nach dem Ortsausgang (Les Chosalets) und fast direkt neben der Talstation zum Riesen-Skigebiet um den Auiguilles des Grandes Montets (3223 m) ist der einzige zu dieser Jahreszeit offene, aber noch wenig genutzte Campingplatz - mit allen notwendigen Annehmlichkeiten - zu finden.

Nachdem die Strapazen des Tages abgewaschen sind, freue ich mich auf ein ausgiebiges französisches Abendmahl mit kulinarischen Köstlichkeiten und Käse und Wein als Abschluss. So mache ich mich zu Fuß auf ins Ortszentrum. Zu meinem Schrecken muss ich erkennen, dass außer den Campingplatzbesitzern auch so gut wie alle Restaurantbesitzer noch im wohlverdienten Frühjahrsurlaub sind. So gibts halt ein kärgliches Campingessen mit viel Wind, der wenigstens die Mückchen vertreibt, und später etwas Sprühregen, und ich freue mich auf einen Test der französische Gastronomie im ganzjährig touristischen Chamonix im Verlauf der kommenden Tage.